Zahlen und Fakten zur Energiewende
Am 11. Juni hat der Verein «energiewende-ja» in Oberburg seinen 2. Jahreskongress durchgeführt. Viel zu hören war dabei unter anderem von mangelndem Winterstrom, vom Rückstand der Schweiz bei der Windenergie und von der Realisierbarkeit alpiner Solaranlagen.
Von Rudolf Burger für gebäudetechnik.ch
Wenn sich Mitglieder des Vereins «Energiewende-ja» treffen, reden Gläubige mit Bekehrten – zumal ein Kontrapunkt zum Beispiel in Gestalt eines SVP-Nationalrats fehlt. «Ja, den Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark habe er schon zweimal eingeladen», sagt Ruedi Meier, der Präsident des Vereins, aber das habe böse Angriffe zur Folge gehabt. Also sind die rund 100 Personen, die sich am Samstag in der Fabrikhalle des Solarpioniers Jenni in Oberburg versammeln, allesamt überzeugt davon, dass es den Klimawandel gibt und dass die nötige Energiewende rasches Handeln erfordert.
Putin schafft neue Ausgangslage
Auch wenn man sich als im Grundsätzlichen einig ist – die Veranstaltung nimmt trotzdem einen attraktiven Verlauf. Am Anfang steht der russische Überfall auf die Ukraine. Putins Krieg habe eine neue Ausgangslage geschaffen, sagt Vereinspräsident Meier in seiner Einleitung. Die Energiepreise explodierten, das Rahmenabkommen mit der EU fehle, die Strom-Importe seien unsicher geworden. Da weder Gas noch Atom die Lösung sei, brauche es einen forcierten Zubau an erneuerbaren Energien, und zwar von Plus 40 Terrawattstunden (TWh) bis 2035. Davon sollten 35 TWh von der Photovoltaik kommen.
Es brauche ein Stromabkommen mit der EU, erklärte Regierungsrat Christoph Ammann, der Energieminister des Kantons Bern. Photovoltaik, aber auch Wasserkraft, Wind- und Holzenergie müssten gefördert werden. Drei Wasserkraftprojekte im Grimselgebiet seien nun auf gutem Weg, es gebe Absprachen mit den Naturschutzorganisationen. Zwar verbiete das neue Energiegesetz des Kanton Bern Ölheizungen nicht – wegen des geplanten Verbots sei ja die Energiegesetz-Abstimmung 2019 verloren gegangen – aber es fördere Bemühungen, Energieproduktion und -verbrauch von Gebäuden ins Gleichgewicht zu bringen. 3000 Ölheizungen pro Jahr würden im Kanton Bern ersetzt, sagte Ammann, darunter sei auch die seines Hauses.
47 Milliarden Franken Investitonen für 35 zusätzliche Terrawatt Strom
Dass es für alle Innovationen und die Umsetzung von Ideen Ingenieure braucht, betonte Adrian Altenburger. Die Hochschule Luzern, an der er lehrt, sei die einzige Hochschule der Schweiz, an der alle Disziplinen rund um Bau und Betrieb von Gebäuden unterrichtet würden. Walter Ott, Ökonom, Elektroingenieur und Vorstandsmitglied von «energie-wende-ja» befasste sich mit der Frage, ob die Potenziale für den Zubau von 35 TWh Solarstrom bis 2035 vorhanden wären. Ja, meinte er, aber «die Herausforderung besteht darin, im Winter 15 bis 20 TWh dazuzubauen». Ott berechnete auch, dass für den Ausbau der Photovoltaik bis 2035 47 Milliarden Franken Investitionen nötig sind, dass dabei aber immerhin zirka 20’000 Vollzeitstellen geschaffen würden. Die vorhandenen Fördermittel sollten seiner Ansicht nach für Anlagen auf Dächern, Fassaden, aber auch Infrastrukturen und Freiflächen mit hohem Anteil an der Stromproduktion im Winter ausgerichtet werden.
Windenergie: Die Schweiz ein Zwerg
Wieso hat es die Windkraft in der Schweiz so schwierig? Diese Frage konnte man sich stellen, nachdem Reto Rigassi, Geschäftsleiter der Suisse Eole, vorgerechnet hatte, dass in Deutschland pro Person 670 Watt Windenergie installiert seien, in der Schweiz dagegen nur gerade 10 Watt. Dabei gebe es hierzulande 120 Standorte, davon acht mit Grossanlagen, die realisierbar wären. «Es gibt ein Stromproduktionspotenzial von 9 TWh, davon 6 THW im Winterhalbjahr», sagte Rigassi, der auch die Vermutung widerlegte, dass Projekte bei Abstimmungen meistens abgelehnt würden: Seiner Darstellung nach gab es an der Urne oder an Gemeindeversammlungen bei Entscheiden zu Windkraftanlagen bisher 6 Ja und 4 Nein, und in Muttenz komme es nach dem negativen Entscheid eventuell zu einer zweiten Abstimmung. «Die Akzeptanz für Windenenergie fällt nicht in den Schoss», meinte Rigassi, «sie muss erarbeitet werden».
Einer der mit seiner Arbeit effektiv viel bewegt, ist Josef Jenni. «Die Energiewende ist eine physikalische, keine esoterische Übung», sagte er, und eine Führung durch seinen Betrieb, wo kleinere, grosse und sehr grosse Solar- und Heizungsspeicher hergestellt werden, bot dazu idealen Anschauungsunterricht. «Die Energiewende ist eine Speicherfrage», findet Jenni, und «Wasser ist allen anderen Speichermaterialien überlegen».
Plädoyer für alpine Solaranlagen
Nicht zuletzt durch einen bekannten Hotelier in Brig sind alpine Solaranlagen für die Erzeugung von Winterstrom in den Fokus geraten. Solche Anlagen produzierten pro Fläche 3x mehr Winterstrom als im Mittelland, erklärte Jürg Rohrer von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, und sie kosteten eher weniger als Strom aus Dachanlagen. Dem Flächenbedarf alpiner Solaranlagen stellte er gegenüber, dass in den letzten 30 Jahren Strassen- und Parkplatzareale und damit versiegelte Flächen massiv zugenommen hätten. «Alpine PV-Anlage versiegeln den Boden praktisch nicht und vergeuden einen Bruchteil dieser Flächen», sagte Rohrer. Und ohnehin werde sich die Landschaft wegen der Klimaerhitzung verändern. Sein Plädoyer für Solaranlagen in den Alpen illustrierte er mit zwei Bildern, welche die Alpjerung ob Gondo (wo eines der Projekte gebaut werden soll), aus einer gewissen Distanz mit und ohne Solaranlage zeigten. Einmal mehr wurde so bestätigt, dass Bilder mehr als 1000 Worte sagen.
Wie bei solchen Anlässen üblich, setzten sich die Experten am Schluss zu einer Gesprächsrunde zusammen und beantworteten Fragen des Publikums. Dabei war auch von einer Energie die Rede, die im bisherigen Verlauf kaum erwähnt worden war: Holz. Josef Jenni, Erfinder des Slogans «Oil of Emmental», warnte dabei von zu hohen Erwartungen. «Nur weil wir im Wald ein bisschen Holz herumliegen sehen, heisst das noch nicht, dass wir es auch nutzen können.» Holz meinte er, sollte nur im Winter zur Wärmeerzeugung genutzt werden, und in 5 bis 6 Jahren sei die Holznutzung in der Schweiz ausgereizt.
Kasten
energie-wende-ja verlangt konsequente Klimapolitik, zukunftsgerichtete Versorungssicherheit
- 40 TWh erneuerbare Energien bis 2035 zubauen: Neue Ziele «Zubau Erneuerbare Energien» gesetzlich verankern: Statt 11.6 (Energiegesetz) bzw. 17 TWh/a (Mantelerlass) +40 TWh/a, davon ca. +35 TWh/a PV bis 2035.
- Technologieneutral mit Konzentration Winterstrom: Zubau Erneuerbare Energien (EE) technologieneutral forcieren, mit gleichen Fördersätzen pro kWh (unter Berücksichtigung der Lebensdauer), Konzentration auf Förderung Winterstrom.
- Optimierter Fördermitteleinsatz: Vorhandene, zurzeit ausreichende Fördermittel, kurz-/mittelfristig optimiert, voll ausschöpfen, längerfristig Mittelbedarf gewährleisten bis mindestens 2035. Kein Stop-and-Go.
- Engpässe/Hemmnisse beseitigen: Abbau Bürokratie, mehr Arbeitskräfte, Lieferketten verbessern.
- Ausschöpfung Potentiale Energieeffizienz (30-40%) mit Standards, Anreizen etc. beschleunigen.
- Keine Gaskraftwerke; kein Rettungsschirm; Ausstiegsplanung AKW sicherheitsorientiert, ohne Subventionen für Nachrüstung angehen.
- Netzausbau, saisonale Speicherkapazitäten (Wasserkraft, Power-to-Gas) sicherstellen.
- Politische Akzeptanz und Konsens schaffen für einen Energie-Gesamtplan mit klaren Zuständigkeiten: Plan Wahlen 4.0.






Wer sich gerne mit den Referaten des Kongress vertieft auseinandersetzen will findet unten die Präsentationen der Referenten: